Claire Waldoff

Hofball bei Zille

Sie gilt als Ur-Berlinerin, als „dolle Bolle“ mit Schnauze und Herz, die dem „Pinsel-Heinrich“ Zille direkt aus der Feder geflossen zu sein scheint: Claire Waldoff – die Volkssängerin von der Spree, Berlins komische Ulknudel
und Krawallschachtel aus dem „Milljöh“.

Wir folgen ihren Spuren von ihrer Geburtsstadt Gelsenkirchen bis in das Berlin der „Goldenen Zwanziger Jahre“,
wo sie ihr vielseitiges Talent an großen und kleinen Bühnen, in volkstümlichen Tanzsälen, wie in Nobel-Cabarets unter Beweis stellte, wo sie das Publikum zu Begeisterungsstürmen und Lachtränen hinriss.

Claire Waldoff wurde geboren in Gelsenkirchen und zwar am 21. Okt. 1884.
Sie hieß eigentlich Clara Wortmann, war das 7. Kind des ehemaligen Bergmanns und Steigers Wilhelm Wortmann und seiner Frau Clementine Waldoff. Der Vater hatte, als Claire zur Welt kam, bereits die Grube mit dem Schanktisch vertauscht und eine Gastwirtschaft übernommen.
Schon als kleines Kind erlebte sie den sorgenvollen Alltag der Arbeiter (sie mussten 12-14 Stunden arbeiten) und unzählige Katastrophen im Bergwerk (oft ausgelöst durch mangelhafte Sicherheitsvorkehrungen). Claire kannte die sehr bescheidenen Verhältnisse der Arbeiterfamilien, das Anschreibenlassen beim Kaufmann oder auch bei ihrem Vater, dem Gastwirt. Sie erlebt auch, dass ihre Altersgenossen, Kinder unter 14 Jahren in den Gruben mitarbeiten mussten.

Claire war, wie ihre Altersgenossen Jahre später über sie berichteten, recht selbstbewusst und frech, „das rotblonde Luder Clara“, verprügelte auch gleichaltrige Jungen, überhaupt sehr jungenhaft. „An ihr sei ein Junge verloren gegangen.“
Claire wollte weiterkommen, was aus sich machen, war gut in der Schule und durfte deshalb ab 1896 die ersten Mädchengymnasialkurse in Hannover besuchen.

Die Leiterin der Schule, Frau Helene Lange, war eine fortschrittliche Frauenrechtlerin, die auch Mathematik und naturwissenschaftliche Fächer in ihrem Lehrplan hatte.
Claire wollte nach dem Abitur Medizin studieren. Dazu kam es aber nicht. Die Eltern ließen sich scheiden, so dass keine finanzielle Unterstützung mehr für Claire möglich war.
Zum Vater verlor sie den Kontakt, mit der Mutter blieb sie in regelmäßigem Briefwechsel.
Claire hatte aber schon länger eine heimliche Liebe zum Theater, zum Schauspiel, zur Oper. Aus der Notwendigkeit heraus, schnell auf eigenen Füßen stehen und Geld verdienen zu müssen macht sie diese Liebe jetzt zu ihrem Beruf.

Pyrmont
Durch Zufall erhielt sie ein Engagement am fürstlichen Sommertheater Pyrmont als „Naive und jugendliche Liebhaberin“ Ihre erste Stelle trat sie an, wie sie selbst sagte: „arm wie eine Kirchenmaus , mit einem Hemd und einem Paar Strümpfe“.
Erste Rolle: Dienstmädchen in „Dr. Klaus“ mit dem Text: „Nicht schneiden, Herr Doktor, nicht schneiden!“
„Ich sah damals aus wie ein fröhliches, verschmitztes, listiges Eichhörnchen, immer vergnügt und selig, der Kunst angehören zu dürfen, und ich fragte nicht woher und wohin“. Sie war auch ehrgeizig und lernte alle Rollen, um immer einspringen zu können.
Zum Saisonende hatte sie kein Engagement. Also musste sie ,wie viele Schauspieler damals (und heute auch noch, wenn man nicht gerade eine Serienheldin ist) Gelegenheitsarbeit annehmen. Sie übernahm für drei Monate die Führung eines Hotels.

Kattowitz
1904 ergab sich wieder eine Chance am Theater, am Kattowitzer Interimstheater (im Schauspielerjargon: Provinzschmiere). Um Jahrhundertwende gab es knapp 300 solcher Bühnen.
Kattowitz eine im polnisch-schlesischen Kohlenrevier gelegenen Bergarbeiterstadt.
Als jugendliche Liebhaberin engagiert, Schauspiel, Operette, Chor, alle kleineren Rollen (60,- Mark Monatsgage).
Lernen des Handwerks von der Pike auf, solider als in den privaten Schauspiellehrgängen;
Jeden zweiten Tag ein anderes Stück, so dass die Schauspieler Tag und Nacht Rollen lernen mussten. Claire W. erzählt, dass sie nach der Vorstellung die Füße in eine Schüssel mit kaltem Wasser stellte, um beim Rollen lernen nicht einzuschlafen.

Sommer 1905 lief ihr Engagement aus. Sie tingelte einige Monate mit Kollegen von Dorf zu Dorf für manchmal 50Pfennig Tageseinnahme, aber großen Hoffnungen für eine Karriere.
Schließlich wollte sie diese Karriere endlich starten. Also fuhr sie, wie viele damals (z.B. Otto Reutter) in die größte deutsche Theaterstadt, nach Berlin.

Berlin
Zwei Dinge blieben ihr bei ihrer Ankunft in Berlin besonders im Gedächtnis: das Tempo und die Atmosphäre der Stadt, die „lebendige, kurz angebundene Art und Weise“ im Umgang.
Claire nahm das Tempo gleich auf und wandte sich sofort an die ersten Theateragenten.
Es gab viele Möglichkeiten ein Engagement zu finden 18 Theater für Schau- und Lustspiele, 11 Volkstheater, die Possen, Burlesken, Volksstücke brachten, 12 Singspielhallen, 300 Lokale mit Aufführungskonzession – „Weimanns Volksgarten“, „Huths Sommertheater“, Berliner „Prater“, „Puhlmanns“, „Schweizer Garten“ am Königstor.
Es gab eben noch kein Fernsehen, so dass die Leute ins Theater gehen mussten, um sich etwas anzusehen.
„Figaro“-Theater
Über eine Freundin vom hannoverschen Gymnasium Anni Vara kam sie in Kontakt mit der Theaterdirektorin Olga Wohlbrück, die für ihr „Figaro“-Theater Schauspieler suchte. Einziges Problem war die sehr bescheidene Garderobe von C.W. Ihre Freundin meinte, mit ihrem kurzen Rock könne sie sich vielleicht in Kattowitz blicken lassen, aber niemals in Berlin. Ein guter Bekannter, Dr. Paul Alfred Merbach, ehemals Dramaturg in Hannover und jetzt ebenfalls in Berlin, half Claire aus der Patsche. Er verhalf ihr zu einem Vorschuss und damit zu einem „kleinkarierten modischen Taftkleid, eleganten Handschuhen und Abendschuhen“.
So wurde Claire Waldoff von Olga Wohlbrück angenommen, die in ihr etwas Besonderes, Eigenes, Originelles sah.
Sie agierte in kleineren Rollen in Stücken, die gediegene Unterhaltung, Fröhlichkeit und netten Theaterspaß auf die Bühne brachten.
Zu den bemerkenswertesten Bühnenerfolgen des „Figaro“ und Claire Waldoff`s wurden die Bühnengrotesken des Humoristen Paul Scheerbart. Paul Scheerbart war ein Freund von Erich Mühsam.
In der Zeit des „Figaro“-Engagements war Claire Waldoff allmählich auf dem Weg zur „Berlinerin“. Der 23-Jährigen fiel es nicht schwer das Berliner Idiom „janz jediegen“ zu erlernen und zu sprechen. Sie hatte viele Freunde und Kollegen kennengelernt im alten „Cafe des Westens“. Dies war ein Künstlertreff, der im Volksmund „Cafe Größenwahn“ genannt wurde. Mit diesen Freunden und Kollegen durchstreifte sie an spielfreien Tagen die Millionenstadt; und zwar nicht nur den reichen Westen, wie sie sagt, sondern auch die Armen-Bezirke „janz weit draußen“. So lernte sie das Wesen und die Sprache der Berliner kennen.

Als der „Figaro“ im Verlauf des Jahres 1907 den Spielbetrieb einstellen musste, war C.W. eine arbeitslose Schauspielerin. Deshalb musste sie sich eine „billige Bude“ suchen. Diese Bude fand sie dann in der Bamberger Str., im hinteren Parterre mit „nichts drin“. Sie hatte aber inzwischen viele Freunde, Maler und Dichter, die ihr mit selbstverständlicher Solidarität halfen. Obwohl die meisten selber nicht viel besaßen. Der eine brachte gebrauchte Gardinen, der andere ein Feldbett, andere Stühle und Tassen.

Nach dem Einzug in diese Wohnung, bei den häufig stattfindenden Atelierfesten der Kollegen bürgerte sich eine Sitte ein, nämlich dass Claire die Gäste mit Volksliedern oder neu gelernten Berliner Gassenhauern unterhielt. Ohne sich dessen bewusst zu sein, formte Claire mit diesen Solovorträgen nach und nach einen Teil ihres Repertoires, wie es noch Ende der 20er Jahre auf ihren Schallplatten zu finden ist. Ihre sehr kräftige, herbe, jungenhafte Stimme mit dem eigentümlichen Piano und dem forschen Ton des Gassenhauers war für diese Lieder wie geschaffen. Sie spürte es selbst und der Applaus des Publikums bestärkte sie.

„Neues Schauspielhaus“
Nach einigen Wochen hat das faule Bohèmeleben ein Ende. Sie erhält einen Vertrag für das „Neue Schauspielhaus“, dessen damaliger Direktor Alfred Halm war. In der Berliner Posse „Hopfenraths Erben“ von Heinrich Wilken soll sie eine kleinere Rolle spielen. Sie hat nur einen Satz zu sprechen: „Wat jeht mir Jelbsiegel an!“ Claire muss den Satz so überzeugend „herausgehauen“ haben, dass es (wie sie es selbst in ihren Erinnerungen beschreibt)
„jeden Abend einen todsicheren Applaus bei diesem kleinen Satz gab. Das Publikum wollte sich schibbelich lachen und wollte wissen, wer die kleene Kröte ist auf dem Programm is“.
Nach drei Monaten wurde sie überraschend entlassen, weil, wie sie in ihren Erinnerungen schreibt, berühmte Kolleginnen ihr den Erfolg neideten.

„Roland von Berlin“
Noch ehe das Jahr 1907 zu Ende ging, war sie jedoch wieder im Engagement, diesmal nicht im Theater, sondern im Kabarett, und zwar im „Roland von Berlin“, eine seit 1905 bestehende Kleine Bühne, die als das beste Kabarett von Berlin galt. Die Räumlichkeiten befanden sich in der Potsdamer Str. zwischen Potsdamer Brücke und Margarethenstr. Claire hatte im Cafe des Westens gehört, dass im „Roland“ ein neues Ensemble formiert würde. Die beiden Direktoren Paul Schneider-Duncker und Rudolf Nelson hatten sich nämlich getrennt.
Während Schneider-Duncker im alten Haus verblieb, wollte der Komponist Rudolf Nelson ein neues Bühnchen gründen, das im Spätherbst 1908 an der Friedrichstr. eröffnete.
Claire Waldoff stellte sich bei Schneider-Duncker vor und wurde von ihm für eine recht ansehnliche Monatsgage unter Vertrag genommen. Claire wollte mit Volksliedern und literarischen Monologen von Paul Scheerbart auftreten. Dazu kam es aber nicht. Mit diesem Repertoire kam sie nämlich nicht zum Zuge. Die Scheerbart-Monologe waren der Zensur zu kritisch und wurden verboten. Ein weiteres Problem war ihr Kostüm. Ihre Volkslieder wollte Claire im Hosenanzug vortragen. Diese Bekleidung jedoch war Damen abends nach 11 Uhr auf der Bühne nicht gestattet. Darüber kam es zum Krach mit Schneider-Duncker, der auch sonst Anstoß an ihrem burschikosen Auftreten nahm.
Hilfe fand C.W. bei dem jungen Komponisten Walter Kollo, der -wie sie- neu am „Roland“ war. Kollo wollte die junge Schauspielerin unterstützen, weil er sie für talentiert hielt. Zusammen mit dem Berliner Texter Hermann Frey kreiierte er für sie einen Schlager „Das Schmackeduzchen“.
Walter Kollo und Claire probten von morgens bis abends. Schon während dieser Proben gab es das erste Aufsehen, gab es Lachstürme bei den Anwesenden. Bald sprach sich herum, dass eine „urkomische Person“ ihren Auftritt vorbereite, „eene Pflanze“, die „wie eine Göre aus dem dritten Hinterhof echt berlinisch grölen konnte“.
Sie war völlig anders als die anderen Damen des Kabaretts: In den Pausen saß sie in der Künstlerecke, eine Tonstummelpfeife oder Zigarre im Mund. Ihre Garderobe bestand aus einem einfachen Seidenkleid mit Schleppe, während ihre Kolleginnen mit Federboa erschienen, in kostbare Stoffe gehüllt, mit Kunstwerken von Hüten auf den Köpfen.
Das erlauchte Premierenpublikum war begeistert vom Vortrag der Waldoff. „Das Schmackeduzchen“ war ein voller Erfolg. Vor allem die flotten Takte des ulkigen Refrains fanden sofort Einklang in das Ohr des Publikums. Dazu vollführte Claire einen angedeuteten kleinen, watscheligen Ententanz. Musik, Gesang und Mimik machten dieses kleine Lied von der Liebe zu einem phantastischen Erfolg. Sie musste es neunmal wiederholen.
Claire beschrieb ihr Erfolgsrezept so: „Meine einfache Art, ohne Geste, nur auf Mimik, nur auf das Mienenspiel der Augen gestellt, war etwas Neues auf der Kabarettbühne. Meine Art war etwas anders als die bisher gewöhnte Manier der Chanteusen, die viel zu viel Bewegungen machten. Ich war und blieb die große Nummer in meiner Einfachheit.“
Als sie am Schluss des Abends erneut auf die Bühne gerufen wurde schuf sie noch eine Neuheit auf der Kabarettbühne. Als Zugabe sang sie das beliebte berlinische Couplet:
Aujust, reg dir bloß nich uff! So wat jibt et nich!"
Couplets im Berliner Jargon gab es bisher vielleicht im Volkstheater oder in der Singspielhalle, aber nicht im Kabarett. Claire behielt diese Art der Zugabe aus ihrem Volkslied- und Gassenhauerschatz bei.
Noch am selben Abend gab der Direktor Schneider-Duncker neue Ankündigungsplakate in Auftrag.
Die Berliner konnten nun in großen Lettern lesen, dass im „Roland von Berlin“ allabendlich Claire Waldoff mit ihrem „Schmackeduzchen“ auftrat. Der Sprung zum Kabarett war damit geglückt.
8 Monate sang Claire Waldoff im „Roland“. Von diesem Künstler-Lokal aus begann ihr Stern langsam am Berliner Kabaretthimmel aufzugehen. Davon profitierte auch Walter Kollo, dessen Waldoff-Schlager immer beliebter wurden.
Claires Lieder waren volksnah, originell, lebenswahr und im Humor realistisch und sprachen dadurch ein breites Publikum an.

„Chat Noir“
Nach 8 Monaten verließ sie den „Roland“, um zum „Chat Noir“ an der Friedrichstr. zu gehen. Manche Theaterintrige der Konkurrentinnen mag ein Grund gewesen sein, oder weil sie den Direktor Schneider-... als Chansonnier etwas in den Schatten stellte. Auf jeden Fall galt das „Chat Noir“ mit seinem Direktor Rudolf Nelson als das musikalisch perfekteste Kabarett in Berlin. Es war somit für Claire Waldoff ein weiterer Schritt auf dem Weg zum „Stern“ der Unterhaltungsbühne.
Wer an der Kasse des „Chat Noir“ eine Karte für 6,20 Mark kaufte (der höchste Eintrittspreis für ein Kabarett in Berlin), bekam erstklassige Künstler zu sehen und zu hören.
C.W. debütierte im „Chat Noir“ teilweise mit neuem Repertoire, wieder mit Walter Kollo als Komponist.
Die neuen Lieder der 25-jährigen Interpretin schlugen ein. Musikverlage begannen Claire-Waldoff-Repertoire zu drucken. Mit dem Jahr 1910 wurde sie durch Notendrucke und anerkennende Rezensionen über die Grenzen Berlins hinaus bekannt.
Mit dem Nelson-Ensemble trat sie erstmals in einer anderen deutschen Großstadt, in Frankfurt/Main auf. Hier konnte ihre Mutter sie zum ersten und einzigen Mal auf der Bühne sehen. C.W. erinnert sich später: ...“ich höre noch immer Mutters glückselige, gerührte Stimme zwischen Lachen und Weinen zu den Nachbarn laut in den Beifall hinein sagen:
Das ist ja mein Kind, das ist ja mein Kind!“
Auch die erste Auslandtournee unternahm sie in jener Zeit mit dem „Chat Noir“ nach Budapest.
In der Spielzeit 1909/1910 nahm Claire Waldoff zum „Chat Noir“ ein zweites Engagement an im „Cabaret Unter den Linden“, kurz „Linden-Cabaret“ genannt. Es befand sich Ecke Friedrich/Behrenstr. Der Vortrag ihrer Lieder im „Linden-Cabaret“ begann erst nachts halb 2., nachdem sie alle anderen Verpflichtungen absolviert hatte. Sie sang hier vor Tausenden und Abertausenden bis in die Kriegsjahre hinein und wurde vor allem durch diese Bühne erstmals einem größeren Publikum bekannt. Hier saßen Berliner Bierfahrer, genau wie Schlosser von AEG, Kommis aus Magdeburg und Onkel Fritz aus Neuruppin. Hier entspannte sich Kurt Tucholsky ebenso gern wie Heinrich Zille, Claires erster Maler.

Mit dem Engagement im „Linden-Cabaret“ wurden manches ihrer Lieder zu Berliner „Träller-Liedchen“, die man in Kneipen, in der Straßenbahn, im Lunapark nachsang, pfiff oder plärrte.
So wurde z.B. ihr Lied „Nach meine Beene is ja janz Berlin verrückt“ ein regelrechtes Volkslied. Dieses Chanson hat später Marlene Dietrich übernommen, so dass viele gar nicht wissen, dass es ursprünglich von der Waldoff war.

Kurt Tucholsky bestätigte C.W. das „Höchste an Humor...“ Die Technik ihres Vortrags erschien ihm einzigartig und unübertragbar. In dieser Technik kreiierte sie im „Linden-Cabaret“ in den Vorkriegsjahren Schlager auf Schlager. Z.B. auch das Lied „Hermann heeßt er!“, was ihr meist gesungenes Lied geworden ist.
1913 war sie für 2 Monate in Großbritannien. Das Londoner Variete „Empire“ hatte sie engagiert. Sie sang ihr Repertoire auf deutsch und auf englisch und wurde danach von der englischen Presse beschrieben als ein „Teufelchen jeder Art von Spaß“.

1. Weltkrieg
1914 mit Beginn des ersten Weltkriegs musste sich Claire Waldoff, wie fast alle Bühnenkünstler für Propagandastücke zur Verfügung stellen. So spielte sie im „Theater am Nollendorfplatz“ in dem Stück „Immer feste druff“ mit dem Untertitel „Vaterländisches Volksstück“
Erst das Fortschreiten des Krieges, die immer länger werdenden Verlustlisten der Gefallenen, und auch die immer katastrophalere Nahrungsmittelknappheit beendete den Hurrapatriotismus des „feste Druffschlagens“. Dementsprechend änderten sich auch wieder die Bühnenprogramme.
Walter Kollo brachte am 6. Okt. 1917 ein neues Werk auf die Bühne des „Nollendorf-Theaters“, die Operette „Drei alte Schachteln“. Claire Waldoff, der diese Operette vor allem ihren ungeheuren Erfolg verdankte, spielte die Köchin Auguste. Claire übernimmt aus der Operette das Couplet „Ach Jott, wat sind de Männer dumm“ in ihr Repertoire.
In diesem Lied besingt sie die Tendenz der Männer, die fleißigen und braven Mädchen nicht zu beachten und sich stattdessen nach den raffinierten Frauenzimmern umzuschauen.

Ende 1919/ Anfang 1920 kamen für Claire Waldoff wieder Kabarettverpflichtungen in verschiedenen Kabaretttheatern, unter anderem im „Kabarett der Komiker“, auch gelegentlich wieder im „Linden-Cabaret“.
In den 20er Jahren begann sie verstärkt Tourneen in die größeren deutschen Städte zu unternehmen:
Hamburg, Frankfurt, Düsseldorf, Dresden, Erfurt, Leipzig.
Die Inflationsjahre von 1921 bis 1924 waren für Claire, wie für alle Künstler sehr schwierig. Die regulären Einnahmen aus ihren Auftritten reichten meistens nicht aus, so dass sich fast alle zusätzliche Tageseinnahmen verschaffen mussten, die sofort nach der Auszahlung in lebensnotwendige Waren umgesetzt wurden. Solche Tagesgeschäfte waren Auftritte in so genannten Bühnenschauen der Kinos vor der Filmvorführung. Viele Künstler mussten sich so das Notwendigste ertingeln.
Ab 1924 wurden die großen Ausstattungsrevuen immer beliebter. Der Stil dieser Revuen orientierte sich an den musikalischen Einflüssen aus den Vereinigten Staaten einerseits und an der klassischen Tradition des Pariser Chansons andererseits. Claire Waldoff konnte sich auf einer Parisreise im Jahr 1924 mit diesem Stil vertraut machen.
Eric Charell hatte das Monopol für den neuen Bühnenstil in Berlin. Er verpflichtete Claire im Herbst 1924 für seine erste große Ausstattungsrevue „An alle“. Viele prominente Künstler waren an dieser Revue beteiligt: z.B. Die Komponisten Rudolf Nelson und Ralf Benatzky, das sensationelle Tiller-Ballett, der Komiker Wilhelm Bendow , die Diseuse Margo Lion und natürlich Claire.
Sie erhielt durch diese Revue eines ihrer sehr bekannten und beliebten Lieder, das Show-Rummel und Flimmer überdauerte: „Warum soll er nich mit ihr“.

Im März 1925 wirkte Claire Waldoff mit in dem Singspiel „Hofball bei Zille oder Mein Milljöh“ im Großen Schauspielhaus. Heinrich Zille hatte dafür die Bühnenbilder entworfen. Das Stück spielte auf einem Berliner Hinterhof und zeigte viele Urberliner Typen. Auch Claire verkörperte in ihrer Rolle der „Pyjamajule“ den Zilletyp und war in erster Linie verantwortlich für den Erfolg beim Publikum.
Claire Waldoff sang in den 20er Jahren vorwiegend diese parodistischen Typen-Chansons, in denen sie auf sehr drastisch und komische Art eine Berliner Type verkörperte. Es hieß, sie habe dabei in Urwüchsigkeit und Drastik ihrer Sprache und in der Komik (wie es hieß) „kein Feigenblatt vor den Mund“ genommen.
Sie erreichte als „Pflanze“ oder „Type“ ein Massenpublikum.
Neben dem Kabarett wurde Claire Waldoff in der zweiten Hälfte der 20er Jahre vor allem durch Revue und Operette bekannt. So spielte sie an der „Komischen Oper“ an der Weidendammer Brücke in der Operette „Die Dose Ihrer Majestät“ den Stalljungen August.
Am 1. September 1926 stand sie wieder auf der Bühne des „Großen Schauspielhauses“ in Charells zweiter Revue
„Von Mund zu Mund“, neben Wilhelm Bendow, Curt Bois und Marlene Dietrich.
Aus dieser Zeit blieb ihre Freundschaft mit Marlene Dietrich. Die Revue wurde auch vom Funk übernommen und am 22. Oktober 1926 in einer Direktsendung übertragen.
Der Funk machte Claire Waldoff in einem kaum bekannten Maße populär. Er brachte schon 1929 ihre Stimme in jeden fünften Haushalt. 8 bis 10 neue Platten von ihr verließen von 1927 bis 1933 die Aufnahmestudios. Außer Richard Tauber, dem populärsten Tenor Deutschlands hatte kein Künstler eine so stattliche Jahresproduktion an Platten aufzuweisen.
Die Jahre 1926 bis 1933, also bis zur Machtübernahme durch die Nationalsozialisten, waren für Claire Waldoff die glücklichsten ihres Lebens. Sie war gleichermaßen akzeptiert bei Bühne, Kabarett und Operette, der Schallplatte und dem Rundfunk. Sie hatte jährlich ausgebuchte Tourneen und sie war beliebt bei Kollegen und Freunden.

Claire die Berlinerin
Das eigentlich „Berlinische“ der Claire Waldoff lag in der künstlerisch vollendeten Umsetzung des Lebensgefühls der kleinen Leute von Berlin: sie besang ihren Alltag, ihre Sorgen, ihre Freuden, ihre Kraft und Vitalität. Diese kleinen Leute waren ansonsten in der Kunst kaum vertreten.
Es gab natürlich Ausnahmen, wie Heinrich Zille mit seinen Milljöh-Bildern oder Otto Reutter, der in seinen Liedern auch meist die kleinen Leute besungen hat.
Im Gegensatz zu den Chansons der „eleganten Welt“ waren Claires Lieder „Lebenslieder“, die von Berliner Frauen und Männern, von Berliner Liebe, vom Bräutijam, von der Witwe handelten. Sie waren voller Optimismus und Lebensfreude, ohne kitschig zu sein.
Die Waldoff-Lieder bauen in ihrem Witz und ihrer Nachdenklichkeit meist auf einem realen sozialen Inhalt auf, auf realen Situationen und realen Menschen. Deshalb traf sie den Nerv des Publikums.
Noch als alte Dame mit „70 Jährchen“ zitierte sie in einem Brief an den befreundeten Schweriner Komponisten Claus Clauberg den alten Berliner Scherzvers:

Ick sitze so und esse Klops-
Uff eenmal klopp`s...
Ick kieke, staune, wundre mir-
Uff eenmal jeht se uff die Tür.
Nanu, denk ick, ick denk, nanu,
jetzt jeht se uff, erst war se zu.
Nu jeh`ick raus und kieke-
Und wer steht draußen? Icke!

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten brach für die fast 50jährige Künstlerin der Weg eines „Sterns“
von Berlin ziemlich abrupt ab. Aufgrund ihrer ablehnenden Haltung erhielt sie immer weniger Auftrittsmöglichkeiten.
Kurz vor Ausbruch des 2. Weltkrieges kaufte sie sich von ihren Ersparnissen ein kleines Haus in Bayrisch-Gmain, nahe der österreichischen Grenze. Da viele ihrer Freunde und Kollegen, wie Friedrich Hollaender oder Marlene Dietrich Deutschland verlassen hatten, zog sich Claire Waldoff im Jahr 1940 ganz in ihr Häuschen nach Bayrisch-Gmain zurück. Engagements gab es so gut wie keine mehr.
Nach dem Krieg gab es für die mittlerweile 60 Gewordene keine Rückkehr zur Bühne mehr. Gelegentlich sang sie ihre Lieder in verschiedenen deutschen Städten, 1950 besuchte sie sogar für einige Tage Berlin. Ab 1951 musste sie wegen verstärkter Krankheit und Müdigkeit jegliche künstlerische Tätigkeit einstellen.
1953, ein Jahr vor ihrem 70sten Geburtstag erschien von ihr ein Erinnerungsbüchlein mit dem Titel „Weeßte noch...“
Am 22. Januar 1957 ist Claire Waldoff im Krankenhaus Bad Reichenhall im Alter von 73 Jahren an einem Schlaganfall gestorben. Als die Todesnachricht einen Tag später in Berlin bekannt wurde, erhoben sich im Berliner Friedrichstadt-Palast 3000 Berliner zu ihrem Gedenken.

 
Wenn Sie Lust auf mehr Claire Waldoff bekommen haben , besuchen Sie Kabarett Herzschmerz im Hofgarten der Anna Koschke